
Ich schob den Kinderwagen vor mir her und ging meinen Gedanken nach. Im Kinderwagen schlief ruhig mein Kind. Als erstes Kind hat Gott uns ein behindertes Kind anvertraut.
Die Weite der Bedeutung war uns noch in keiner Hinsicht klar. Was heißt das für das Kind? Welche Beeinträchtigungen werden sich ein- stellen? Was kommt auf uns, die Eltern, zu?
Plötzlich gesellte sich ein kleines Mädchen zu uns. Sie fragte mich: „Ist da ein Baby drin und kann ich mal schauen?“. „Na klar, kannst du schauen“, war meine Antwort. Sie steckte ihren Kopf in den Wagen und musterte das Kind. Ich war auf ihre Reaktion gespannt, denn mir war klar, dass unser Kind auch im Aussehen Auffälligkeiten aufwies. Sie ließ sich Zeit, und als sie wieder zu mir aufschaute, überraschte sie mich: „Die Menschen sagen immer ‚Hauptsache gesund‘, ich sage aber ‚Hauptsache geliebt‘“. Sprach es, und rannte davon. Was für eine reine, kindliche, ja göttliche Wahrheit! Aus der Perspektive des Betroffenen ist das die einzige Möglichkeit, um ein wertvolles Leben leben zu können.
Pure Liebe
„Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, son- dern ewiges Leben habe“, sagt die Bibel in Johannes 3,16. Ja, geliebt sind wir, das ist unser großes Glück. Und das haben wir alle auch bitter nötig. Das zeigt der sehr hohe Preis, den Gott für uns bezahlt hat. Dass Jesus persönlich zu den Menschen kam und für sie ans Kreuz ging, ist pure Liebe. Wir bedeuten Gott wirklich viel.
Aber was sagt es über uns Menschen aus? Hoffnungslos, verloren und unfähig die Rechnung auszugleichen – das ist unsere objektive Ausgangssituation. Kein Mensch, der je über diese Erde ging, hat von sich aus alles im Griff gehabt oder den Durchblick besessen. Angewiesen auf richtige Informationen und Interpretationen entwickelt jeder seine Wahrheit. Wie viele Tränen werden über eigene Fehltritte vergossen und noch mehr durch die Not und Bedrängnis durch andere. Wie viele Verletzungen und tiefe Wunden ent- stehen dadurch in der Seele des Menschen. Die Welt ächzt und stöhnt unter der Last der Taten der Menschen, die sie eigentlich pfle- gen und sinnvoll bebauen sollen.
Dass Jesus zu den Menschen kam und für sie ans Kreuz ging, ist pure Liebe.
Ein hoher Preis
Wenn es um die Liebe Gottes zu uns Menschen geht, dann geht es gleichzeitig auch immer um die Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit des Menschen. Billiger als durch den Tod des Sohnes Gottes, war der Mensch nicht zu erkaufen. Aber: Wir sind geliebt! Geliebt von Gott. Und er war bereit, zu zahlen. Das ist unser Glück. Ohne Hilfe und Schutz von außen sind wir verloren wie mein Baby im Kinder- wagen. Gott liebt uns nicht, weil wir so wert- voll sind, sondern wir sind so wertvoll, weil Gott uns liebt. Wenn er so viel zahlt, dann deshalb, weil unsere Schuld es erforderte.
Deshalb ist die Liebe Gottes eine Herausforderung, sich in tiefer Dankbarkeit der Frage auszusetzen, was nun aus Gottes Perspektive das Richtige für mich wäre. Immerhin ist er allein der Weg zum Ziel, die Wahrheit auf unsere Fragen und das Leben, das sich am Ende lohnt (Johannes 14,6). Aus Liebe macht
er es möglich, uns aus unserer Verlorenheit herauszuführen und heile zu machen.
Heilung durch den Heiland
„Ich fühle mich aber nicht geliebt, ich spüre es nicht“, sagen häufig Menschen in der Seelsorge. Warum ist es so? Liebe zu schenken bzw. sich liebevoll zu verhalten, kann durch den Willen gesteuert werden. Aber Liebe zu spüren und zu empfinden kann durch Verletzungen und dem Vorenthalten von Liebe, besonders in der Kindheit, blockiert sein. Deshalb lässt sich Liebe empfinden nicht befehlen. Es ist eine emotionale Kompetenz, die dem Betroffenen nicht mehr zur Verfügung steht (oder noch nie stand) und eine Wunde in seiner Seele darstellt. Wunden brauchen Hilfe und Heilung. Hier ist seelsorgerliche Unterstützung nötig, um zu lernen, wie der Heiland solche Wunden heilt.
Ja, dass Gott uns liebt, ist wirklich die Haupt(ur)sache in seiner Rettungsaktion. Wo die Liebe treibt, da ist kein Preis zu hoch. „Hauptsache gesund“ im Sinne von „Hauptsache mir geht es gut und der Rest kommt von alleine“ – nein, diese Rechnung geht vor Gott nicht auf. Aber je und je geliebt und deshalb teuer erkauft – das zu glauben und daran festzuhalten, ist die Hauptsache.
„Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.“ (2. Korinther 13,13)